Königsallee

Hans Pleschinski

Königsallee


396 S. m. 2 Abb., 22 cm
Beck 2013
Geb. 19.95 EUR


Düsseldorf, Sommer 1954. Thomas Mann macht auf wohlvorbereiteter Lesereise (Felix Krull) in Begleitung seiner Frau Katja und unter den Argusaugen der Tochter Erika Station in einem der ersten Häuser des Platzes. So weit, so wahr. Der Zufall will es, dass in jenem "Breidenbacher Hof", auch Klaus Heuser samt indonesischem Lebensgefährten logiert. Man erinnere sich: Sylt 1927, eine Ferienbegegnung, folgenreich nicht in jeder Beziehung, aber doch für das Werk, für den Joseph und für die Seele; jener Klaus, damals jugendlich, war auch diskret zugelassener Gast in der Poschingerstraße.

So kommt es, dass quer durch das Krull'sche und pagengeprägte Ambiente ein in die Jahre gekommener Satz geistert, der nicht sein soll und auch nicht genannt wird: Gesetzt, es läge     ein Knabe vor ... Da all dies der Entourage des Autors aber ein offenes Geheimnis* ist, stürmt nicht nur Erika auf Heuser ein (er möge der Schonung wegen sich selten machen); Golo hingegen wünscht die Begegnung herbei und beschwört ihn, sein Bote zu sein; der gefallene Germanist Ernst Bertram wiederum lechzt nach Absolution.

Pleschinskis vergnüglich ausgereizte Manier, das in Schrift und Bild gut dokumentierte Personal des Romans "naturgetreu" entlang des aus gemischten Quellen bekannten Materials so akribisch zu beschreiben, dass die Fotografien wie Filmstills erscheinen, die sich entrollen, führt zu einer tatsächlich glückhaften, zumindest sehr amüsanten Wiederbegegnung. Dasselbe Verfahren des Abkupferns wendet er auf das Bild des rheinischen Deutschland der 50er Jahre an; die Kunst der Reanimation entfaltet sich mit zunehmendem "Warmwerden" des Autors, dessen Fabulierlust den Sekundär-Realismus der Darstellung mitunter wiederum in gar zu lustigen Kapriolen hintertreibt, so dass man ihm manchmal zitatweise "tüddelüt!" zurufen möchte.

Nicht unerwähnt bleibe das denkwürdige Interview mit jener eigenwilligen Mitarbeiterin der Lübecker Nachrichten, angereist im Vorfeld der Verleihung der Ehrenbürgerwürde, deren investigativer Dämon hingegen auf noch ganz anderen Klaviaturen zu spielen beliebt.

Pleschinskis - ja, Portraitstudie? lebt von der eindringlichen Verklammerung von Lebendigem und Abgelebtem ("Das Äußerste geht mich jetzt an"), Uneingelöstem und Ausgeführtem, und verlagert diesen melancholischen Konflikt leichthin und amüsant in eine schillernde Momentaufnahme dessen, was (auch) übrig bleibt.


* für dessen ergänzendes Verständnis: Heinrich Detering, Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann. Wallstein 2013.